Wer war Perkin Warbeck wirklich? Die Herrschaft des ersten Tudor-Königs Heinrich VII. war nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges und angesichts seines zweifelhaften Thronanspruchs noch instabil. Und die Liste derer, die den Thron an seiner Stelle beanspruchten, nicht gerade kurz.

Im Jahr 1491 tauchte ein junger Mann namens Perkin Warbeck auf, der genau dieses tat – und sich für nicht weniger als den Sohn Edwards IV. ausgab.

Eine dramatische Geschichte, die das Leben schrieb. Die Übersetzerin Nadine Erler erzählt uns heute etwas über die hochbrisanten Ereignisse, die den Beginn der Tudor-Herrschaft prägten. Und sie stellt uns ein literarisches Werk über Perkin Warbeck vor, das von einer wahren Größe der Literatur verfasst wurde.

 

Die „Prinzen im Tower“

England im Frühjahr 1483. Die sogenannten Rosenkriege, ein erbitterter Kampf um die Erbfolge zwischen den verfeindeten Familien York (Symbol: eine weiße Rose im Wappen) und Lancaster (rote Rose), sind in vollem Gang. König Edward IV. stirbt im Alter von nur 40 Jahren.

Sein 12-jähriger Sohn besteigt als Edward V. (1470 – wahrscheinlich 1483) den Thron, doch seine Herrschaft währt nur kurz. Sein ehrgeiziger Onkel lässt ihn und seinen 9-jährigen Bruder (1473 – wahrscheinlich 1483) für unehelich erklären und im Tower inhaftieren. Er selbst wird als Richard III. König von England.

Im Sommer verschwinden die beiden Jungen spurlos, ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt. Richard III. wird nach wie vor verdächtigt, seine Neffen beseitigt zu haben. Shakespeare macht ihn in seinem Drama Richard III. als Bösewicht unsterblich.

 

Lambert Simnel

Richard III. fällt in der Schlacht von Bosworth und Henry Tudor (dt. Heinrich VII., 1457 – 1509) wird nach dem Sieg über seinen Rivalen zum König gekrönt wird. Die Rosenkriege sind zu Ende, doch der ungeklärte Verbleib der Prinzen muss Hochstapler auf den Plan rufen. Der erste von ihnen ist der erst zehnjährige Lambert Simnel, der sich mit Unterstützung eines Priesters zunächst als Richard, Duke of York, ausgeben will, dann jedoch in die Rolle eines anderen Adligen schlüpft, der ebenfalls im Tower gefangengehalten wurde. Nachdem Simnels Truppen eine Niederlage gegen die Armee Henrys VII. erlitten haben, verzeiht der König dem Jungen, wahrscheinlich wegen seines jungen Alters, und stellt ihn als Diener in seinem Haushalt ein.

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Perkin Warbeck

Perkin Warbeck: Verschollener Prinz oder Betrüger?

Dann erscheint der junge Flame Perkin Warbeck (1474 – 1499) auf der Bildfläche und erklärt, er sei der verschollene Prinz Richard und somit rechtmäßiger König von England. Sein älterer Bruder soll an einer Krankheit im Tower verstorben sein, er selbst will nach Flandern gebracht worden sein, wo er von Pflegeeltern großgezogen wurde – dem Zollbeamten Jehan de Werbecque und dessen Frau Katherine, geb. de Faro. Warbecks Mutter gab sich zeitweise als Elizabeth Woodville, die Mutter der Prinzen, aus.

Warbecks Zeitgenossen sind geteilter Meinung – ist er wirklich der verschwundene Prinz oder vielmehr ein Betrüger? Henry Tudor, mittlerweile mit Richards Schwester Elizabeth of York (1466 – 1503) verheiratet, scheint fest im Sattel zu sitzen, doch Warbeck nimmt den Kampf gegen ihn auf und findet mächtige Unterstützer – darunter den schottischen König James IV. und Margaret, Herzogin von Burgund. Sie war die Tante der verschwundenen Prinzen und hielt Perkin Warbeck für ihren Neffen. Es ist jedoch anzumerken, dass sie ihn nicht persönlich kannte; sie hatte England bereits vor der Geburt der Prinzen verlassen. James IV. verheiratete Warbeck mit der schottischen Grafentochter Catherine Gordon, wofür die Zustimmung ihres Vaters erforderlich war – demnach scheint auch dieser Warbeck für glaubwürdig gehalten zu haben.

Das englische Volk ächzt unter der gewaltigen Steuerlast, die Henry VII. ihm aufbürdet, ist jedoch dankbar für das Ende des Krieges. Warbecks Verbündete wenden sich nach und nach von ihm ab und schließlich muss er sich Henry VII. ergeben. Anders als Simnel ist Warbeck kein kleiner Junge, der von Erwachsenen gelenkt wird – nach zwei Jahren Haft und nach zwei Fluchtversuchen wird er 1499 hingerichtet.

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1674 werden bei Bauarbeiten im Tower of London die Skelette zweier Kinder gefunden. Handelt es sich um die sterblichen Überreste der verschwundenen Prinzen? Königin Elizabeth II. lehnt eine DNA-Untersuchung ab; ihr Sohn und Nachfolger Charles III. jedoch nicht. Das uralte Geheimnis, ob die beiden Prinzen im Tower verstorben sind, könnte also in absehbarer Zeit gelöst werden. Doch auch dann bleibt die Frage, wer für den Tod der Kinder verantwortlich war. Die Geschichte der Prinzen im Tower wird die Fantasie der Menschen also auch nach einer etwaigen Klärung weiterhin beflügeln.

 

Perkin Warbeck in der Literatur

Natürlich inspirierte Warbecks Geschichte viele Künstler – darunter Friedrich Schiller, dessen Drama über Perkin Warbeck jedoch unvollendet blieb, und die englische Autorin Mary Shelley, die mit ihrem Roman Frankenstein weltberühmt wurde. Ich wurde auf die Autorin aufmerksam, als ich auf der Suche nach weiteren Werken sogenannter Ein-Hit-Wunder war – wie so viele Schriftsteller, die nur durch ein Werk Weltruhm erlangt hat, hat auch sie noch sehr viel mehr Interessantes zu Papier gebracht. Eines von Shelleys großen Themen waren bedeutende Persönlichkeiten aus der Geschichte; ein wenig Romantik schadete natürlich auch nicht.

Nach gründlichem Quellenstudium kam sie zu dem Schluss, dass es sich bei Perkin Warbeck tatsächlich um Richard, Duke of York, handelte, und griff zur Feder. In ihrem Roman The Fortunes of Perkin Warbeck (erschienen 1830) lässt sie Warbeck, seine Freunde und Feinde auferstehen und schildert den aussichtslosen Kampf gegen Henry Tudor – das rastlose Nomadenleben eines unerfahrenen jungen Mannes, der die Welt durch romantische Augen sieht und an der Realität scheitert.

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Eine große Rolle spielt die Liebe zweier Frauen, Warbecks Ehefrau Katherine und die der fiktiven Monina. Doch auch die beiden können Warbeck nicht retten … Katherine ahnt, dass all seine Pläne zum Scheitern verurteilt sind – sie ist bereit, auf Thron und Krone zu verzichten und mit Warbeck ein zurückgezogenes Leben zu führen, doch sein Ehrgeiz ist stärker.

Wahrscheinlich hat Mary Shelley, als sie Perkin Warbeck Leben einhauchen wollte, sich ihren Mann Percy Bysshe Shelley zum Vorbild genommen. Bei aller Begeisterung für ihren Helden ist die Autorin nicht blind für dessen Fehler; auch die Schrecken des Krieges beschönigt sie nicht.

Warbecks Widersacher Henry VII., der außerordentlich gnädig zu dem Hochstapler Simnel war und auch Warbeck erst nach zwei Fluchtversuchen hinrichten ließ, kommt bei Mary Shelley sehr schlecht weg. Er erscheint als skrupelloser Machtmensch und als liebloser Ehemann. Richard III. begeht ein Unrecht, indem er seinen Neffen entthronen lässt, ist jedoch kein Kindermörder. Seinen fiktiven unehelichen Sohn Edmund, der im Roman eine große Rolle als Richards loyaler Vetter spielt, lässt er fernab vom Hof aufwachsen, um ihm die dortigen Intrigen zu ersparen.

The Fortunes of Perkin Warbeck ist 2023 unter dem Titel Perkin Warbeck erstmals auf Deutsch erschienen. Fans englischer Geschichte kommen hier auf ihre Kosten.

 

Nadine Erler, 1978 in Stade geboren und in Hemmoor aufgewachsen, hat Skandinavistik in Göttingen und Turku studiert. Als Literaturübersetzerin für Englisch, Finnisch, Schwedisch, Dänisch, Norwegisch und Niederländisch ist sie spezialisiert darauf, unbekannte Texte bekannter Autoren, wie Lucy Maud Montgomery, der Schöpferin von “Anne auf Green Gables”, ins Deutsche zu bringen. Ihr besonderes Interesse gilt den unentdeckten Schätzen und weniger bekannten Werken von “Ein-Hit-Wundern”, wodurch sie auch Erstlinge, wie den ersten in Finnland veröffentlichten Roman, übersetzt.

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