Der Brexit: Wir haben wohl alle davon gehört. Und die meisten waren wohl schockiert, als das britische Volk am 23.06.2016 wirklich entschied, der EU den Rücken zu kehren. Ich will mich hier nicht mit den politischen Verwicklungen beschäftigen, das ist nicht mein Metier. Aber ich merkte auf, als sowohl Schottland als auch Nordirland sich rührten und mit dem Brexit nicht einverstanden waren. Bald stand im Raum, dass die Länder sich vom Vereinigten Königreich lossagen könnten, um Teil der EU zu bleiben. Der Brexit könnte somit das Ende des Vereinigten Königreichs bedeuten. Daher will ich mich heute mit der Frage beschäftigen, was das Vereinigte Königreich überhaupt ist, und warum London für obige Länder ein viel größerer Buhmann als Brüssel ist.

Das Vereinigte Königreich, oder korrekt “Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland“, das wir heute kennen, existiert erst seit 1927 (und ist damit ein Jahr jünger als sein Staatsoberhaupt Königin Elizabeth II.). Doch es ist das Werk jahrhundertelanger Eroberungspolitik und Religionskonflikte. Alles begann mit dem Königreich England, das nach der Invasion durch die Normannen 1066 unter einem König, Wilhelm I. aka Wilhelm der Eroberer, vereint wurde. Schritt für Schritt, und oft gewaltsam, wurden die Nachbarländer einverleibt.

Brexit: Der Untergang des Vereinigten Königreichs?

 

Wales

Wales wurde als erstes Teil des Königreichs England, und zwar durch die Gesetze zur Eingliederung von Wales. Diese wurden in den Jahren 1535 bis 1542 unter Heinrich VIII. erlassen. Wales war zu jenem Zeitpunkt schon über 200 Jahre lang erobert. Und ebensolang trug der englische Thronfolger den Titel Prinz von Wales – und tut es heute noch. Nun verlor Wales seine rechtliche Autonomie vollkommen. Erst in der ersten Hälfte der 1990er wurde diese Autonomie wiederhergestellt. Vor allem im 19. Jahrhundert, während der industriellen Revolution, begehrten die Waliser dagegen auf, von London regiert zu werden. Wales, als der kleinste Landesteil des Königreichs wurde ohne Namensänderung geschluckt. Beim Referendum stimmte Wales mehrheitlich für den Brexit.

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Schottland

Schottland fiel im 13. Jahrhundert unter Englands Vorherrschaft. U.a. durch William Wallace (den man historisch inkorrekt aus “Braveheart” kennt) erstritt es seine Freiheit. Ab 1603 wurden beide Länder in Personalunion von einem Monarchen regiert, nachdem die Tudordynastie ausstarb und das schottische Haus Stuart an die Macht kam. Doch auch in den folgenden Jahrzehnten forderte der Konflikt zwischen den anglikanischen Engländern und den presbyterianischen Schotten sowie die Jakobitenaufstände einen hohen Blutzoll. 1707 wurde Schottland dann gegen den Willen der Bevölkerung mit England vereint. Das neu entstandende Königreich bekam den Namen Königreich Großbritannien. Doch sowohl vorher als auch nachher ist auf beiden Seiten viel Blut geflossen.

Erst 2014 hat Schottland in einem Referendum über seine Unabhängigkeit abgestimmt. Es wurde sich dafür entschieden, Teil des Königreichs zu bleiben. Aber nun stimmte Schottland mehrheitlich gegen den Brexit, und Stimmen nach einem neuen Referendum werden laut.

 

Irland

Im 12. Jahrhundert ernannte der Papst den König von England zum Lord über das keltisch-christliche Irland. Nachdem Heinrich VIII. dann mit der katholischen Kirche brach, machte er Irland 1541 zum Königreich und sich selbst zum König. Im 17. Jahrhundert ließ der protestantische Lordprotektor Oliver Cromwell Aufstände in Irland blutig niederschlagen.

Im Jahr 1800 stimmte das (protestantische) irische Parlament dem Zusammenschluss mit Großbritannien zu. Zu diesem Zeitpunkt entstand zum ersten Mal der Name “Vereinigtes Königreich”: Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland. Der katholische Teil der Bevölkerung blieb jedoch benachteiligt, da der englische König immerhin Oberhaupt der anglikanischen Kirche war (und ist). Als die britische Regierung Irland nicht während der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts unterstützte, erstarkte die irische Unabhängigkeitsbewegung. Diese forderte sowohl eine Unabhängigkeit als auch eine Gleichstellung der Religionen. 1916 brach der irische Unabhängigkeitskrieg aus, der die Gründung Nordirlands und die Loslösung der Republik Irland aus dem Königreich mit sich brachte. 1927 entstand somit das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland. Doch Nordirland litt bis in die 1990er Jahre hinein unter erbitterten Kämpfen zwischen Katholiken und Protestanten.

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Nordirland stimmte ebenfalls gegen den Brexit. Daher wird derzeit verstärkt diskutiert, ob sich Irland wieder zu einem Land zusammenschließt, das Teil der EU bleibt.

 

Was macht der Brexit mit dem Vereinigten Königreich?

Würden sowohl Schottland als auch Nordirland wirklich angesichts des EU-Referendum ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich anstreben und erreichen, würde das Vereinigte Königreich aufhören, zu existieren. Nimmt man die historischen Entwicklungen als Grundlage, würde anschließend nur England als Landesname übrig bleiben. Königin Elizabeth II. wäre demzufolge nicht mehr Königin des Vereinigten Königreichs, sondern “nur noch” Königin von England – wie so viele ihre Vorfahren.

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Auch der Union Jack als Landesflagge wäre nicht mehr zutreffend, da er eine Vereinigung der Flaggen von England, Schottland und Irland darstellt:

  • rotes Kreuz auf weißem Grund für England
  • weißes Andreaskreuz auf blauem Grund für Schottland
  • rotes Andreaskreuz auf weißem Grund für (Nord-)Irland

Es würde also ein Konstrukt fallen, das Generationen von Briten als Teil ihrer Identität betrachtet haben. Ist es wahrscheinlich, dass es so kommt? Ich weiß es nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das Ende des Vereinigten Königreichs sogar einige hartnäckige Anhänger des Brexit zum Umdenken bewegen könnte.

Der Polit-Krimi geht weiter.

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2 Comments

  1. Claudia Cabinetto says:

    Hallo, würde denn ein Ausstieg nach britischen Gesetzen möglich sein?

    1. StefanieNorden says:

      Hallo Claudia,

      keine Ahnung, ehrlich gesagt. Aber ich denke schon, denn immerhin hat Schottland ja kürzlich erst über seine Unabhängigkeit abgestimmt.

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